Bislang wurde in Rechtsprechung und Literatur einhellig vertreten, dass nach einer strafgerichtlichen Entziehung der Fahrerlaubnis wegen erstmaliger Trunkenheitsfahrt mit einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 Promille zwingend eine MPU (medizinisch-psychologische Untersuchung) für die Wiedererteilung einer Fahrerlaubnis erforderlich ist.
Dieser Rechtsprechung liegt die Annahme zugrunde, dass ab einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 Promille Alkoholmissbrauch vorliegt und deshalb nicht von einer hinreichend sicheren Trennung zwischen Alkoholkonsum und Teilnahme am Straßenverkehr ausgegangen werden kann. Bei einer Blutalkoholkonzentration von weniger als 1,6 Promille ist eine wiederholte Zuwiderhandlung im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss erforderlich, um die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis von einer positiven MPU abhängig zu machen.
Von dieser Rechtsprechung ist nun der Verwaltungsgerichtshof Mannheim mit seinem Urteil vom 15.01.2014 sowie das Verwaltungsgericht Berlin mit seinem Urteil vom 01.07.2014, Aktenzeichen VG 18 K 536/13, abgewichen. In dem vom Verwaltungsgericht Berlin zu entscheidenden Fall wurde ein Kraftfahrer wegen einer Blutalkoholkonzentration von 1,14 Promille gemäß § 316 StGB (Trunkenheitsfahrt) zu einer Geldstrafe verurteilt und ihm die Fahrerlaubnis entzogen. Nach Ablauf der Sperrfrist hat er bei seiner zuständigen Fahrerlaubnisbehörde die Wiedererteilung seiner Fahrerlaubnis beantragt. Dies wurde aber davon abhängig gemacht, dass ein positives medizinisch-psychologisches Gutachten vorgelegt wird. Hiergegen wurde Klage beim Verwaltungsgericht eingereicht. Das Verwaltungsgericht Berlin hat die Anordnung einer MPU durch die Fahrerlaubnisbehörde als rechtmäßig bestätigt und damit begründet, dass durch eine Trunkenheitsfahrt mit einer Blutalkoholkonzentration von 1,14 Promille hinreichend belegt wurde, dass Alkoholmissbrauch vorliegt und damit einhergehend nicht zwischen Alkoholkonsum und dem Führen eines Kraftfahrzeuges getrennt wurde.
Gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin wurde Antrag auf Zulassung der Berufung beim Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg gestellt. Ob das Oberverwaltungsgericht das Urteil des Veraltungsgerichts Berlin bestätigen wird, ist noch offen. Allerdings ist davon auszugehen, dass sich das Bundesverwaltungsgericht in absehbarer Zeit mit dieser Frage beschäftigen wird. Auch bleibt abzuwarten. ob sich noch andere Verwaltungsgerichte dieser Rechtsauffassung anschließen werden.
Aufgrund der Urteile des VGH Mannheim und des VG Berlin ist es jedoch denkbar, dass es auch innerhalb der Bundesrepublik Deutschland zu einem sogenannten „Führerscheintourismus“ kommen wird. Die Fahrerlaubnisbehörden, die im Zuständigkeitsbereich des VGH Mannheim und des VG Berlin ihren Sitz haben, werden aller Voraussicht nach deren Rechtsprechung berücksichtigen und bei jeder Trunkenheitsfahrt die Erteilung einer neuen Fahrerlaubnis von einer positiven MPU abhängig machen. Um dies zu vermeiden, könnten die Betroffenen ihren Wohnsitz in den Zuständigkeitsbereich einer anderen Fahrerlaubnisbehörde verlegen, um dort ohne die Vorlage einer positiven MPU eine Fahrerlaubnis erteilt zu bekommen.
Dieser Beitrag wurde von Rechtsanwalt Hofmeister, Arnstadt, am 25.10.2014 eingestellt.